Moment mal. Was hat sie eigentlich wirklich gesagt?

Momen­tan empö­ren sich eine Rei­he von Bon­ne­rin­nen und Bon­nern über die Fra­ge “Was wird aus dem Bon­ner Stadt­mu­se­um?” Aus­lö­ser war das Inter­view mit der Kul­tur­de­zer­nen­tin Bir­git Schnei­der-Bön­nin­ger zur Zukunft des Bon­ner Stadt­mu­se­ums, am 19.10. im Gene­ral Anzei­ger. Nun for­miert sich Pro­test in den Kom­men­ta­ren im GA-online, in Leser­brie­fen und auf face­book: man dür­fe die wert­vol­len Samm­lungs­be­stän­de nicht “auf den Müll wer­fen”, statt das kul­tur­his­to­ri­sche Gedächt­nis der Stadt zu erhal­ten sol­le das Muse­um in ein “Bür­ger­la­bor mit Muse­ums­lei­ter­kol­lek­tiv” umge­wan­delt wer­den — so zitiert Leser­brief­schrei­ber und Face­book­kom­men­tie­rer S. Eisel die Kul­tur­de­zer­nen­tin nicht ganz kor­rekt. Denn gesagt hat sie — und zwar nach einer ziem­lich pro­vo­ka­ti­ven Fra­ge des Inter­view­ers, mit der er ihr die Kom­pe­ten­zen  für die­sen Pro­zess abspricht: “Wir wol­len (…) sehen, was die Bon­ne­rin­nen und Bon­ner sich wün­schen. Viel­leicht gibt es am Ende ein Muse­ums­lei­tungs­kol­lek­tiv. Das wür­de ich erst­mal offen­las­sen.” Also nicht: so wird das neue Stadt­mu­se­um, son­dern: wir wol­len gemein­sam über­le­gen. Die von Frau Schnei­der-Bön­nin­ger mit gro­ßer Offen­heit ange­kün­dig­te Neu­kon­zep­ti­on des Stadt­mu­se­ums mit aktu­el­len Ansät­zen der Museo­lo­gie steht, wie sie selbst mehr­fach betont, ganz am Anfang.

Die hier agie­ren­den Per­so­nen, ob in par­ti­zi­pa­ti­ven For­ma­ten wie einem Stadt- oder Muse­ums­la­bor oder in Lei­tungs­funk­ti­on, sind übri­gens auch nicht alle auto­ma­tisch männ­lich, wie Herr Eisel zu glau­ben scheint. Neu­kon­zep­ti­on mit aktu­el­len Metho­den und Fra­ge­stel­lun­gen bedeu­tet auch nicht, dass die Stadt­ge­schich­te und wich­ti­ge kul­tur­his­to­ri­sche Ereig­nis­se oder Per­so­nen der Ver­gan­gen­heit kei­ne Rol­le mehr spie­len wer­den. Im Gegen­teil, es geht bei sol­chen Pro­zes­sen um eine inten­si­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit (der eige­nen) Geschich­te und Kultur. 

Ich emp­feh­le da ger­ne den Besuch in der Nach­bar­kom­mu­ne: Das Stadt­mu­se­um in Eus­kir­chen hat eben­falls jüngst eine sol­che Neu­kon­zep­ti­on ent­wi­ckelt. Das Ergeb­nis ist über­zeu­gend: Im neu­en Gebäu­de des Kul­tur­ho­fes geht der Besu­cher über drei Eta­gen durch die Geschich­te der Stadt, die anhand von fokus­sie­ren­den Zen­tral­the­men erzählt wird. Medi­en und inter­ak­ti­ve Ele­men­te laden zu ver­tie­fen­den Erfah­rung ein. Im Ober­ge­schoss wird das moder­ne Eus­kir­chen vor­ge­stellt: Mit­tel­zen­trum, Ver­wal­tungs­stadt und — Hei­mat für Men­schen aus 97 Natio­nen. 15 die­ser Men­schen erzäh­len in einer Medi­en­sta­ti­on von ihrer per­sön­li­chen Bezie­hung zu Eus­kir­chen, es lohnt sich, ihnen zuzuhören.

Auch das Stadt­mu­se­um Eus­kir­chen hat eine Neu­kon­zep­ti­on hin­ter sich. Erfolgreich.

Das eigent­li­che Pro­blem am aktu­el­len Stand der Debat­te um das Bon­ner Stadt­mu­se­um ist nun, dass anschei­nend nie­mand der Empör­ten das Inter­view ein­mal kom­plett und ruhig gele­sen hat. Denn dort ist nir­gend­wo die Rede davon, dass das Muse­um auf­ge­löst wird, dass Samm­lungs­be­stän­de in den Müll kom­men, dass die vor­han­de­ne Dau­er­aus­stel­lung schlecht sei oder die Dar­stel­lung der Bon­ner Stadt­ge­schich­te in Zukunft kei­nen Platz mehr haben sol­le. Nein, das sagt Frau Schnei­der-Bön­nin­ger nicht, obwohl der Autor des GA-Inter­views immer wie­der ver­sucht, ihr sol­che Ab- und Ansich­ten zu unter­stel­len. Man könn­te sich eigent­lich empö­ren über die­sen Jour­na­lis­ten, der augen­schein­lich nicht objek­tiv über ein neu­es Kon­zept infor­mie­ren will, sonst wür­de er mal erklä­ren, was “Nar­ra­tiv” oder “Labor” im Kon­text von Muse­en bedeu­tet. Nein, sei­ne Fra­gen und Bemer­kun­gen wir­ken, als ob er sei­ne eige­ne Vor­stel­lung, was und wie ein Stadt­mu­se­um zu sein habe, von einer Neu­kon­zep­ti­on bedroht sieht.
Ehr­lich gesagt, das wäre auch gut. Denn wenn Jour­na­list Mar­tin Wein schreibt: “Das Muse­um ist mei­ner Ansicht nach zunächst ein Ort, wo man Arte­fak­te sam­melt, kata­lo­gi­siert und dann auch der Öffent­lich­keit zugäng­lich macht”, dann ist das ein Bild, das an Bedeu­tung und Funk­ti­on von Muse­en ziem­lich vor­bei­geht — und nicht erst seit heute.

Sam­meln, erschlie­ßen, ver­mit­teln — das sind drei ganz zen­tra­le Auf­ga­ben von Muse­en. Wobei es beim Sam­meln nicht nur um “Arte­fak­te” geht, son­dern auch um imma­te­ri­el­les Kul­tur­er­be und Erin­ne­rungs­kul­tur. “Kata­lo­gi­sie­ren” ist eine sehr ver­ein­fa­chen­de Beschrei­bung eines kom­ple­xen wis­sen­schaft­li­chen Arbeits­pro­zes­ses, näm­lich ein Objekt der Samm­lung mit Wis­sen um Funk­ti­on, Bedeu­tung, Kon­tex­te, Ent­ste­hung, Pro­ve­ni­enz und vie­lem mehr mit spe­zi­fi­schen Metho­den und Struk­tu­ren zu ver­bin­den. Muse­en sind Orte von For­schung und Wis­sen­schaft: Denn wel­che Objek­te sol­len gesam­melt wer­den, was sagen sie aus, aus wel­chen Kon­tex­ten stam­men sie, was kön­nen sie uns heu­te erzäh­len — das sind nur weni­ge Fra­gen, die sich aus dem Samm­lungs­auf­trag von Muse­en ergeben.

Eine Scha­blo­nen­ma­le­rei der Land­syn­ago­ge Rödin­gen wird restauriert.

Muse­en schüt­zen kul­tu­rel­les Erbe, indem sie es sach­ge­recht auf­be­wah­ren, restau­rie­ren und das Wis­sen über die­ses Erbe ver­mit­teln.
Muse­en sind und waren immer Orte des gesell­schaft­li­chen Aus­tauschs: Hier erzäh­len wir von unse­rer eige­nen Geschich­te, unse­ren Wer­ten und Erin­ne­run­gen. Aus dem jeweils aktu­el­len Hier und Jetzt der Gegen­wart lädt das Muse­um ein, in die Ver­gan­gen­heit zu bli­cken und hier rele­van­tes für das eige­ne Leben zu fin­den und in die Zukunft wei­ter­zu­tra­gen. Aus Geschich­te zu ler­nen: das Muse­um ist einer der zen­tra­len Insti­tu­tio­nen, die das ermög­licht.
All dies weiß Frau Schnei­der-Bön­nin­ger sehr genau, sie spricht in dem Inter­view (und in vie­len ande­ren Zusam­men­hän­gen, in denen ich sie zu Fra­gen der Kul­tur und Kul­tur­ver­mitt­lung gehört habe) mit gro­ßer Wert­schät­zung über das Stadt­mu­se­um — über die bis­he­ri­ge Dau­er­aus­stel­lung eben­so wie über die Her­aus­for­de­rung einer Neu­kon­zep­ti­on.
Die­se Neu­kon­zep­ti­on ist not­wen­dig. Punkt. Das heißt nicht, dass die bis­he­ri­ge Muse­ums­lei­tung Feh­ler gemacht hat, dass die Aus­stel­lung “schlecht” war. Aber es ist nach über 30 Jah­ren Zeit für eine Moder­ni­sie­rung. Und wie in allen ande­ren Berei­chen auch, haben sich in den ver­gan­ge­nen 30 Jah­ren in der Muse­ums­sze­ne neue Metho­den, Fra­gen und Ansprü­che ent­wi­ckelt. In kei­nem Beruf arbei­tet man heu­te noch genau­so wie vor 30 Jah­ren — war­um also soll­te man eine Aus­stel­lung heu­te noch genau­so machen wie 1990?

Der Isen­hei­mer Altar ist ein Muse­ums­ob­jekt gewor­den — Im Muse­um in Col­mar wird er gezeigt und erklärt.

Heu­ti­ge Kon­zep­te von musea­ler Ver­mitt­lung ver­su­chen Par­ti­zi­pa­ti­on zu rea­li­sie­ren, also die Ein­bin­dung von Bür­ge­rin­nen und Bür­gern in die Aus­stel­lungs­ge­stal­tung. Wie Muse­en als “Labor in der Stadt” expe­ri­men­tel­le und spie­le­ri­sche Ange­bo­te für Besu­chen­de bie­ten, lässt sich inzwi­schen in einer Rei­he von Städ­ten anschau­en: in Karls­ru­he bei­spiels­wei­se ist das badi­sche Lan­des­mu­se­um einen sol­chen Weg gegan­gen. Zukunft­la­bo­re, Wis­sens-labs und ähn­li­che Ver­mitt­lungs­for­ma­te las­sen sich krea­tiv ein­set­zen, um Men­schen mit­ein­an­der in Kom­mu­ni­ka­ti­on zu brin­gen und Wis­sen zu ver­mit­teln. Digi­ta­li­sie­rung bie­tet attrak­ti­ve Ver­mitt­lungs­for­men über Medi­en, aber auch Ver­net­zung und ver­bes­ser­te Erschlie­ßung.
Frau Schnei­der-Bön­nin­ger nutzt aktu­ell klug und kon­struk­tiv eine sehr schwie­ri­ge Situa­ti­on: Das Aus­schei­den der Muse­ums­lei­tung aus dem Dienst und die offe­ne Fra­ge der Räum­lich­kei­ten sor­gen für Unsi­cher­heit und stel­len das Stadt­mu­se­um immer wie­der in Fra­ge. Genau jetzt ist der Zeit­punkt für die Ver­ant­wort­li­chen in Poli­tik und Ver­wal­tung, sich Zeit zu neh­men für eine Neu­kon­zep­ti­on. Für die Grund­fra­ge: was soll das Stadt­mu­se­um uns erzäh­len? Wel­che Fra­gen haben wir an unse­re Stadt­ge­sell­schaft? Was wol­len wir hier auch Besu­chen­den von anders­wo über unse­re Stadt ver­mit­teln? Und wie wol­len wir das tun?
Die Kul­tur­de­zer­nen­tin holt sich (auch das zeugt von ihrer Klug­heit) für die­se Auf­ga­be Unter­stüt­zung: aus Muse­ums- und Aus­stel­lungs­netz­wer­ken, aus der Uni­ver­si­tät Bonn, die mit der Abtei­lung für Kul­tur­anthro­po­lo­gie eine aus­ge­wie­se­ne Kom­pe­tenz in kul­tur­wis­sen­schaft­li­cher Stadt­for­schung mit­bringt, den Land­schafts­ver­band Rhein­land mit sei­nen Kom­pe­ten­zen im Bereich For­schung, musea­le Ver­mitt­lung und Digi­ta­li­sie­rung kul­tu­rel­len Erbes. Und ganz wich­tig: die Bon­ne­rin­nen und Bon­ner wer­den ein­ge­la­den, als Exper­ten für ihre Stadt und als Impuls­ge­ber für neue Fra­gen an ein Stadt­mu­se­um mit­zu­re­den.
Der Ansatz, wie hier eine Neu­kon­zep­ti­on erar­bei­tet wer­den soll, ist inno­va­tiv und her­aus­for­dernd. Er braucht Zeit, Ener­gie und viel Kom­mu­ni­ka­ti­on! Wie viel ein­fa­cher wäre es, die Kul­tur­de­zer­nen­tin schrie­be die Stel­le der Muse­ums­lei­tung aus und der oder die Neue soll mal machen. Dass Frau Schnei­der-Bön­nin­ger das nicht tut, son­dern die Neu­kon­zep­ti­on zur Che­fin­nen­sa­che erklärt, zeigt für mich, wie sehr sie das Stadt­mu­se­um wert­schätzt, wie wich­tig ihr eine gute, moder­ne und zukunfts­fä­hi­ge Neu­kon­zep­ti­on ist.

Ich für mei­nen Teil freue mich, bei die­sem Pro­zess dabei sein zu kön­nen. Und ich freue mich auch, am Ende ein neu­es Stadt­mu­se­um mit Dauer‑, Son­der­aus­stel­lun­gen, Ver­an­stal­tun­gen und Stadtlabor(en) zu besu­chen und zu diskutieren. 

2 Gedanken zu „Moment mal. Was hat sie eigentlich wirklich gesagt?

  1. Dan­ke für die Klar­stel­lung! Wäre ich Lese­rin­nen­brie­fe­schrei­be­rin, hät­te ich mich auch über die igno­ran­ten Fra­gen des Jour­na­lis­ten beschwert und ver­sucht mei­ne Freu­de über die Art und die Kon­se­quenz des Vor­ge­hens der Sport- und Kul­tur­de­zer­nen­tin, Frau Schnei­der-Bön­nin­ger gefreut. Dan­ke Frau Dr. Hänel für die kom­pe­ten­te Ergän­zung zum Interview!

  2. Vie­len Dank für die­se wohl for­mu­lier­te Klar­stel­lung — inkl. sehr gut zusam­men­ge­fass­tem Abriss des­sen, was Muse­en heu­te tun, wol­len, können!

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