Was machen wir eigentlich so den ganzen Tag am Haus? Eigentlich nichts, oder?
Täglich bekommen wir Besuch von den Wildschweinen. In diesem Jahr sind sie nicht nur dämmerungsaktiv, sondern sind beim Frühstück, Mittags, Nachmittags und natürlich abends und nachts unter den Pflaumenbäumen unterwegs und knurpseln das Fallobst weg. Dass wir sowohl die Mirabellen als auch die ersten reifen Pflaumen geerntet haben, gefiel ihnen nicht besonders.
Mit dem geernteten Obst haben wir Marmelade und Gelee gemacht. Schließlich wollten wir unseren Entsafter nicht umsonst mitgenommen haben… In diesem Jahr haben wir eine neue Variante ausprobiert: Pfirsich mit Melone, sehr sommerlich lecker.
Neben den Wildschweinen gibt es noch andere Tiere zu beobachten: Schmetterlinge, Libellen, Hummeln in verschiedensten Sorten, Hornissen und in diesem Jahr neu: eine Hasenfamilie, die allerdings eigentlich nur relativ früh am Morgen zu sehen war.
Dagmar hat in diesem Sommer wieder die Zeichenutensilien ausgepackt und eingesetzt. Und bei einem Besuch in Cortona im dortigen Künstlerbedarfsladen Aquarellfarben und ‑papier gekauft. Neben Hummel- und Blätterstudien sind einige Farbexperimente entstanden.
Gelesen haben wir auch wieder: Den absurden Roman “Scharnow” von Bela B. Felsenheimer (ja, genau der Bela B. von den Ärzten). In seinem ersten Roman geht es um eine erste Liebe, vollkommen absurde Verschwörungstheorien und ihre Folgen, um Seelenparkplätze, einen fliegenden Mann und einen Überfall auf einen Supermarkt durch einen Trupp nackter Irrer. Die sehr lesenswerten Kurzgeschichten von Eva Manesse stehen zwar unter dem Titel “Tiere für Fortgeschrittene”, hatten aber eher weniger mit Tieren zu tun. “Das Feld” von Robert Stadler spinnt aus lauter Einzelgeschichten ein Panorama einer Kleinstadt, das titelgebende Feld ist der Friedhof, auf dem jede einzelne Geschichte endet oder auch beginnt, in den Erinnerungen der Toten. Ein Panorama Georgiens im 20. Jahrhundert erzählt Nino Haratischwili wirklich großartig in ihrem Roman “Das achte Leben” anhand der Geschichte einer Familie. Das Buch habe ich nicht mehr ganz geschafft, jetzt wird es vermutlich etwas langsamer weitergehen mit dem Lesen. Sehr beeindruckend und unterhaltsam war “Die Welt der Farben” von Kassia St Clair. Ein kleines bisschen dienstliche Lektüre war auch dabei: Ein Text von Frank Möller über Hürtgenwald und der Band “Bauhaus” aus der Beck’schen Reihe.
K. St Clairs Welt der Farben1, das Stephan kurz vor dem Urlaub entdeckt hatte, ist ein wirklich schönes Buch: In kurzen Texten, Kolumnen halt, erzählt St Clair viel zur Entstehung der Farben. Von den prähistorischen Höhlenmalereien bis zu modernen Druckfarben, jeweils am Beispiel einer konkreten Farbe, von Absinth bis Zinnoberrot, sortiert nach Kategorien wie Weiß, Pink oder Braun. Auch die deutsche Übersetzung von Marion Hertle ist meines Erachtens gut gelungen.
Der Klappentext Andrea Camilleris Die Inschrift2, der fast noch eine Kurzgeschichte ist, besteht, neben einem Satz aus einer Kritik des Corriere Della Sera aus einem einzigen Satz: “Camilleris vergnüglicher Roman über die grotesken Züge der Kleinbürgerwelt im Faschismus.” Nun, ich würde die beiden letzten Worte streichen. Dass hier der Verein “Faschismus und Familie” im Juni 1940 in Vigata, dem Leser Camilleris Montalbano-Krimis wohlbekannt, als Bühne dient, ist das eine. Letztendlich hätte dieses Stück aber auch in einem Dorf im Oderbruch zu DDR-Zeiten oder vielleicht auch in einem kleinen Dorf in der Eifel vor ein paar Wochen erst stattfinden können.3
Wie sieht ein Italiener seine Landsleute? Auf diese spannende Frage erhoffte Stephan sich eine Antwort in einem weiteren Buch von Andrea Camilleri.4 Dass das alles nicht so einfach ist, erläutert er, der Sizilianer, direkt am Anfang, in dem er auf die Schwierigkeit der Definition Italiens und des Italienischen verweist. Einiges davon erinnert an die Schwierigkeit mit “dem Deutschen” an sich — was ja schon beim “Rheinländer an sich” (Zitat Konrad Beikircher, selbst Südtiroler) kläglich scheitert.
Das folgende Zitat, was selbst aus Zitaten besteht, zeigt, wie sich Camilleri der Thematik nähert:
Im Ausland hält man den Italiener für nich vertrauenswürdig, weil er oft das gegebene Wort bricht oder eine eingegangene Verpflichtung nicht erfüllt.
(…)
Im Film “Der dritte Mann” gibt es dafür ein gutes Bespiel: Der Mann, den Orson Welles spielt (der Regisseur erklärte, der Satz stamme von Orson Welles selbst), sagt, die Renaissance in Italien sei gerade und er Zeit entstanden, als Bruderkrieger, Verrat und Mord den Höhepunkt erreichten, während der lange, ruhige Frieden der Schweiz nur die Kuckucksuhr hervorgebracht habe.
Und dieser seltsame Widerspruch zeige sich (…) bei jedem langsamen Zoom (…) auf einen Italiener von heute.
Interessant ist, dass das Buch zu Berlusconis Zeiten geschrieben wurde. Unter Salvini & Co. hat vieles einen weiteren Spin bekommen — auf dem fruchtbaren Boden, den der “Cavaliere” bereitet hat. Inklusive des Versagens und des anschließenden Verschwindens der politischen Linken.5
Seit Jahren liest Stephan hier im Urlaub Bücher der Beck’schen Reihe mit dem Schwerpunkt Geschichte, insbesondere Heiliges Römisches Reich (bis 1806), Renaissance in Kunst, Kultur und Politik etc. pp. Dieses Jahr war einzig Volker Reinhardt Die Renaissance in Italien6 dran. Teilweise ganz interessante Ansätze, aber im Großen und Ganzen nicht der Reißer. Schade.
Mit Tobi und Gabi gab es viele Gespräche, an einem der Abende auch mal “Zug um Zug”. Dass wir gerne kochen, auch im Urlaub, wissen glaube ich alle. Hier die Zutaten für ein typisches Abendessen.
Tobi und Gabi haben aus München eine große Kiste mitgebracht. Drin war: Ein Pool — eigentlich ein etwas größeres Planschbecken für Erwachsene. Aber großartig! Damit kommen unsere Urlaubsnotizen 2019 auch zu ihrem Ende. Hoffentlich hattet Ihr etwas Spaß beim Lesen — uns hat das Schreiben (und fotografieren) jedenfalls sehr viel Spaß gemacht.
- St Clair, Kassia, Die Welt der Farben, Tempo, erschienen bei Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, ISBN 978 3 455 00133 4, 2018.
- Camilleri, Andrea,Die Inschrift, Kindler erschienen bei Rowohlt, Reinbek, ISBN 978 3 463 40676 3, 2018. Infos auch beim Perlentaucher.
- Dass ich das Buch überhaupt hier im Urlaub habe lesen können, verdanke ich dem unkomplizierten Zusammenspiel meines Buchhändlers, der Post und der Bar Bucci in San Leo Basia. Der Grossist war nämlich nicht in der Lage, das Buch rechtzeitig vor unserer Abreise zu liefern. Das mag daran liegen, dass A. Camilleri just an dem Tag, an dem ich das Buch bestellte, gestorben ist — was ich zum Zeitpunkt der Bestellung noch gar nicht wusste. Vermutlich sind daraufhin alle Camilleri-Bestände beim Grossisten ausgeliefert worden etc. pp. Jedenfalls war der Vorschlag, die Adresse der Bar im Dorf zu hinterlassen, der Brief ginge dann schnellstmöglich raus. Und in der Tat konnte ich bereits binnen weniger Tage das Buch in Empfang nehmen.
- Camilleri, Andrea, Was ist ein Italiener? Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, ISBN 978 3 8031 2630 6, 2011. Infos auch beim Perlentaucher.
- Der zweite Teil des Buchs ist ein knapp 30 seitiger “Kommentar” (zum gut 30 seitigen Hauptteil) von Peter Kammerer. Wäre es ein Seminar, eine Tagung, würde ich das als Koreferat bezeichnen — ähnlich substantiell und originell wie es diesen Beiträgen eigen ist. Es ist halt der Unterschied zwischen einem italienischen Literaten und Philosophen, der “sein” Land erklärt und einem Deutschen, der seit 1962 in Urbino Soziologie lehrt. “Hauptteil” und Camilleris “Inschrift” (s.o.) lohnen sich dringend zusammen zu lesen.
- Reinhardt, Volker, Die Renaissance in Italien, Verlag C.H.Beck, München, ISBN 978 3 406 74284 2