Siena. Die Stadt des Palios und in ewiger Konkurrenz zu Florenz. Mit dem gut erhaltenen, gotischen Stadtbild und dem Dom, der geradezu ein Paradebeispiel für die menschliche Vermessenheit ist. Die Stadt der Hl. Katharina und des Panforte. Wie auch in San Gimignano staunen wir über die Menschenmassen, die sich durch die Stadt schieben.
Doch der Morgen fängt erst einmal sehr beschaulich an. Ein ausführliches Frühstück im Hotel und dann auf dem Weg nach San Francesco nur wenige Touristen. Es ist wohl noch zu früh. Sienes*innen, die zur Uni, ins Büro, ins Geschäft gehen, einen Caffè in einer Bar zu sich nehmen, noch etwas Ruhe, bevor die Touristenströme die Stadt in Beschlag nehmen.
Die Contrade, der Palio: konstruierte Geschichte?
Beim “Gang durch die Gemeinde” fallen natürlich sofort die bunten Lampen an den Häusern auf, die in den Farben und mit den Logos der jeweiligen Contrade gestaltet sind.: Giraffe, Wölfin, Gans oder Raupe. 17 gibt es insgesamt. Die Contrade, der Bezirk, der Stadtteil wird als Identität der Sienes*innen stilisiert, ist sie es doch, die beim Palio (Renommee) gewinnt oder verliert. Und das schon seit vorgeblich hunderten von Jahren genau so. Jedoch:
Die Geschichte des Palio reicht bis ins 13. Jahrhundert, doch seine heutige, vermeintlich authentische Ausprägung ist ein Werk der Faschisten, die es 1927 umgestalteten, um damit das “ursprüngliche” Italien zu feiern.1
Es wundert also nicht, das Matteo Salvini ein besonderes Herz für dieses Ereignis hat, geradezu von der Heiligkeit spricht, aber typischer Weise keine Hemmungen hat, in seinem Insta- und Twitter-Wahn Regeln der (Selbst-)Darstellung rund um den Palio zu verletzen…
Nun gut, wir sind nun mal ziemlich genau zwischen dem Juli- und dem August-Palio in der Stadt, also wundert es nicht, auf Plätzen die Spuren von Versammlungen zu finden. Und dass es selbst Espressotassen im Design der 17 Contraden gibt, überrascht dann auch nicht wirklich. Zugegeben, ich habe selbst eine davon gekauft.
Basilica di San Francesco
Die Basilica di San Francesco ist eine der beiden großen Bettelorden-Kirchen in Siena. Die Nähe zu Assisi und dem Wirken des Hl. Franziskus sowie der ersten Mönche in seiner Nachfolge ist nicht nur in Umbrien, sondern auch hier in der Toskana deutlich sichtbar. Das Portal, durch das man heute die Kirche betritt, ist aus dem Ende des 19. Jahrhunderts — das Original findet sich im Kreuzgang wieder. Ein Fresko stellt den Tod des Hl. Galgano dar, inkl. einer Darstellung der Abbazia San Galgano und des Eremo Montesiepi, dem ersten Ziel unserer Toskana-Rück-Rundreise morgen. In den Seitenkapellen sind Fresken unter anderem von Pietro Lorenzetti (Kreuzigung) zu sehen. Französische Pfadfinder*innen-Gruppen sind (zu dieser Uhrzeit) der Großteil der Besucher*innen.
Santuario di Santa Caterina
Mehr oder weniger am anderen Ende der Stadt (also auf einem der beiden anderen Bergrücken, auf denen Siena gebaut ist) befindet sich das Santuario di Santa Caterina. Die Hl. Katharina von Siena lebte im 14. Jahrhundert und wurde bereits 1461 heiliggesprochen. Das Ensemble, das Haus eines Färbers, des Vaters der Hl. Katharina, besteht im Wesentlichen aus vier Räumen, wovon einer eine Kirche sowie zwei Oratorien sind und der vierte “das Schlafzimmer der Heilige”, was auch sehr andachtswürdig ist. Eine betonte “Frömmigkeit” ist immer noch mit Händen zu greifen, auch wenn wir das Gefühl haben, dass es seit unserem letzten Besuch etwas reduziert wurde. Und das nicht nur, weil inzwischen kein Eintritt mehr zu bezahlen ist. Wir treffen hier die selben Pfadfindenden-Gruppen von San Francesco wieder.
Fontebranda
Siena verfügte — wie viele Städte der Region — über ein ausgeklügeltes System an Brunnen, Zisternen (die Teils über Kilometer lange Leitungen von außerhalb der Stadt gespeist wurden) und Wasserleitungen. Die Fonte Gaia auf dem Campo ist sicher die bekannteste, eine der größten und ältesten ist die Fontebranda unterhalb von San Domenico, um Viertel der Färber (s.o.).
San Domenico und Pause
Bevor wir uns die Mittagspause gönnen, steht noch der Besuch der Basilica di San Domenico auf dem Programm. Die zweite große Bettelordenkirche von Siena ist ca. 100 Jahre älter als San Francesco. Das war es aber meines Erachtens schon mit den berichtenswerten Dingen zu dieser Kirche. Unsere Mittagspause nehmen wir in einem Restaurant ein, das vor 24 Jahren eine Jazz-Keller-Kneipe war. Das Restaurant ist gut, der Blick auf den Dom überwältigend (siehe unten).
Dom samt Baptisterium und “Krypta”
Dom
Die Cattedrale Metropolitana di Santa Maria Assunta (so der vollständige Name im Original) ist, wie eingangs erwähnt, ein Beispiel der menschlichen Großmannssucht und Vermessenheit. Der damals schon in seinen heutigen Ausmaßen vorhandene Dom sollte deutlich erweitert werden. Und zwar schlicht dadurch, dass das existente Hauptschiff zum Querschiff der neuen Kirche wird. Long story short: Die Pest von 1348, eine Wirtschaftskrise, statische und Baugrundprobleme führten zur Einstellung aller Arbeiten um 1357. Stehen geblieben sind zwei Außenwände — und eben der schon bestehende Dom. Und der ist eigentlich auch schon eindrucksvoll genug.
“Krypta”
Unter dem Dom befindet sich die so genannten Krypta, die aber gar keine Krypta ist. Dieser, vielleicht besser Unterkirche genannte Bereich, war lange durch Schutt verfüllt und wurde erst 2003 wieder zugänglich. Die Wandmalereien (keine Fresken) haben eine wunderbare Farbigkeit. Erstaunlich wenige Menschen lösen das Ticket auch für diesen Teil der L’acropoli di Siena.
Baptisterium
Zum Schluss geht es noch ins Baptisterium, das wiederum stark besucht ist. Über und über mit Wandmalereien ausgeschmückt, ist es auch eine Unterkirche in den Substruktionen des Doms.
Abend
In Kerkyra (Korfu) nennt man ihn Volta, den abendlichen Spaziergang, das Sehen und Gesehen werden. Wenn die Stadt etwas abgekühlt ist, die Geschäfte noch und Restaurants oder Bars schon offen sind. Auch wir reihen uns vor dem Abendessen in diese Prozession ein — und erliegen etwas dem Shopping-Fieber. Die Dame hat eine neue Tasche. Zu Abend essen wir in dem Restaurant, in dem wir bereits unsere Mittagspause verbracht haben — inkl. Blick auf den Dom. Zurück geht es dann über den gut bevölkerten Campo zum Hotel.
Schön, abends hier ins Bett fallen und morgen wieder in aller Ruhe auf den “Heimweg” machen zu können. Denn auch dafür gilt: “Der Weg ist das Ziel.”