Von echten und symbolischen Kürbisköpfen

Heu­te Abend ist es also wie­der so weit: Mit Beginn der Däm­me­rung lau­fen gru­se­lig ver­klei­de­te Kin­der durch ihre Wohn­vier­tel und for­dern mit dem Ruf „trick or tre­at“ Süßig­kei­ten ein. Wenn die klei­nen schon längst wie­der zu Hau­se sind, zie­hen die älte­ren Geschwis­ter zur Hal­lo­ween­par­ty, zurecht­ge­macht als Hexe, Vam­pir, Zom­bie oder sonst wie, Haupt­sa­che irgend­wie schau­rig. Eltern genie­ßen den dann ruhi­gen Abend mit Kür­bis­sup­pe, viel­leicht exo­tisch mit Kokos­milch, viel­leicht klas­sisch mit Kür­bis­öl und gerös­te­ten Kür­bis­ker­nen. Damit lässt sich ja wun­der­bar das beim Aus­höh­len der Deko-Kür­bis­se für den Vor­gar­ten ange­fal­le­ne Kür­bis­frucht­fleisch ver­ar­bei­ten. Alle freu­en sich auf den fol­gen­den Fei­er­tag Aller­hei­li­gen zum Aus­schla­fen. Es ist Halloween.

Und wie in jedem Jahr seit etwa 1990 setz­te in den zwei Wochen vor dem 31. Okto­ber das schon ritu­ell zu nen­nen­de Hal­lo­ween-Bas­hing mit einer ver­quee­ren Mythi­sie­rung und Ideo­lo­gi­sie­rung ein.

Kreu­zen Sie an, wel­cher Vor­wurf Ihnen am bes­ten gefällt (Mehr­fach­nen­nun­gen möglich):

  • Hal­lo­ween ist ein heid­ni­sches Toten­fest, kel­ti­sche Drui­den haben in die­ser Nacht Men­schen­op­fer vollzogen.
  • Hal­lo­ween ist ame­ri­ka­ni­scher Kulturimperialismus.
  • Hal­lo­ween ist eine Erfin­dung einer sinn­ent­leer­ten Event­kul­tur, die zwi­schen Som­mer­fe­ri­en und Weih­nach­ten unbe­dingt noch eine wer­be­wirk­sa­me Kon­sum- und Fei­er­ver­an­stal­tung braucht.
  • Hal­lo­ween ist eine Bedro­hung für „unse­re“ tra­di­tio­nel­len Fes­te Aller­hei­li­gen (das wer­de durch die gan­ze Kür­bis­feie­rei ver­ges­sen) und St. Mar­tin (zwei Wochen spä­ter ähn­li­che Brauch­hand­lun­gen, aber ohne den span­nen­den Gru­sel­ef­fekt, da wer­den sich die Kin­der wohl langweilen).
  • Hal­lo­ween ist der Unter­gang des christ­li­chen Abendlandes.

Aus Sicht von Men­schen, die sich mit die­sem Fest, sei­ner Geschich­te, Ent­wick­lung und sei­nen aktu­el­len For­men wis­sen­schaft­lich aus­ein­an­der­set­zen (man nennt die Eth­no­lo­gin­nen, Kul­tur­anthro­po­lo­gin­nen oder Volks­kund­le­rin­nen, sind aber auch Män­ner dabei), ist das alles ziem­li­cher Bullshit.

Hier nun in aller Kür­ze (wer die Details nach­le­sen will, dem schi­cke ich auf Anfra­ge ger­ne eine fun­dier­te Lite­ra­tur­lis­te): Die Wahr­heit über Halloween

Halloween ist entstanden als Feier des Vorabends von Allerheiligen.

Einen Fei­er­tag schon am Abend vor­her zu begin­nen ist gute christ­li­che Tra­di­ti­on, die sich aus jüdisch-christ­li­chem Zeit­ver­ständ­nis erklärt, wie es im Alten Tes­ta­ment for­mu­liert und von Mar­tin Luther anschau­lich über­setzt ist: „Da ward aus Abend und Mor­gen der ers­te Tag“ (1. Mose 1,5). Die­sem Den­ken haben wir übri­gens auch den „Hei­li­gen Abend“ und Sil­ves­ter zu ver­dan­ken. Der Zusam­men­hang zwi­schen Hal­lo­ween und Aller­hei­li­gen zeigt sich schon im Namen: Hal­lo­ween ist abge­lei­tet von „all hal­lows eve“ – also der Allerheiligenabend.

image023Aller­hei­li­gen ist ein christ­li­ches Gedenk­fest, das kol­lek­tiv an sämt­lich Hei­li­ge der Kir­che erin­nert – im Gegen­satz zu den indi­vi­du­el­len Hei­li­gen­ge­denk­ta­gen wie Niko­laus am 6.12., Bar­ba­ra am 4.12., Mar­tin am 11.11. etc. Die­ses Fest wird im Früh­mit­tel­al­ter eta­bliert, 835 durch Papst Gre­gor IV für die gesam­te West­kir­che auf den 1. Novem­ber fest­ge­legt. Ende des 1. Jahr­tau­sends ent­steht in Frank­reich der Fei­er­tag Aller­see­len, der 1006 wie­der­um durch päpst­li­ches Dekret auf den 2. Novem­ber gelegt wird. Aller­see­len ist der Gedenk­tag für alle See­len, also alle bereits ver­stor­be­nen Men­schen (egal ob sie hei­lig sind oder nicht). Die­ses Dop­pel­fest wird im Mit­tel­al­ter enorm popu­lär, weil es ritu­el­le und sym­bo­li­sche Aus­drucks­for­men für ein rela­tiv kom­pli­zier­tes theo­lo­gi­sches Kon­zept vom Jen­seits bie­tet, das genau um die ers­te Jahr­tau­send­wen­de dis­ku­tiert und eta­bliert wird: Das Pur­ga­to­ri­um, die Not­wen­dig­keit einer Läu­te­rung der See­len vor dem jüngs­ten Gericht, die Bezie­hung zwi­schen Dies­seits und Jenseits.

Die Armen Seelen und das Fegefeuer

Das frü­he Chris­ten­tum war eine escha­to­lo­gisch aus­ge­rich­te­te Reli­gi­on, das bedeu­tet, sie glaub­ten, das Ende der Zeit wür­de bald kom­men. Chris­tus wird zurück­keh­ren, dann wer­den alle Men­schen gerich­tet, kom­men ent­we­der in die ewi­ge Ver­damm­nis der Höl­le oder ins Para­dies. Es erscheint auch ganz logisch, dass Men­schen Berech­nun­gen anstell­ten, wann denn mit dem Ende der Welt zu rech­nen sei – die ers­te Jahr­tau­send­wen­de war da ein ganz hei­ßer Kan­di­dat als Ter­min für das Jüngs­te Gericht. Nun, die Geschich­te hat gezeigt, dass da irgend­wo ein Rechen­feh­ler vor­liegt – wie übri­gens auch für die zwei­te Jahr­tau­send­wen­de, wir erin­nern uns, dass auch da diver­se Welt­un­ter­gangs­sze­na­ri­en ent­wor­fen wur­den. Aber zurück ins Jahr 1000 – der jüngs­te Tag kam nicht. In die­sem Kon­text ent­stand ein inter­es­san­ter Dis­kurs unter Phi­lo­so­phen und Theo­lo­gen nach der Fra­ge, was macht die See­le nach dem Tod? Wo war­ten die See­len auf ihre Gerichts­ver­hand­lung? Lässt sich die War­te­zeit nicht sinn­voll gestal­ten? Durch schon mal Beginn der Läu­te­rung? Denn – und auch die­ses The­ma beschäf­tig­te die Men­schen enorm: Sind wir nicht alle Sün­der und kei­ner von uns wird es leicht haben beim Wägen der See­le am Jüngs­ten Tag.

In die­sem Kon­text ent­steht die Vor­stel­lung des Fege­feu­ers, lat. Pur­ga­to­ri­um. Das ist ein Ort im Jen­seits, wo die See­len gerei­nigt wer­den, bevor sie dann geläu­tert am Jüngs­ten Tag ihr end­gül­ti­ges Urteil erwar­ten. Rei­ni­gung, vor allem spi­ri­tu­el­le Rei­ni­gung, funk­tio­niert pri­ma mit Feu­er (so mit­tel­al­ter­li­ches reli­giö­ses Den­ken). Und so schmo­ren die See­len im Fege­feu­er, wie in unzäh­li­gen Kir­chen, Kapel­len und Bild­stö­cken dar­ge­stellt. Aber jetzt kommt der eigent­li­che Clou: Das Fege­feu­er ist kei­ne Ein­bahn­stra­ße, son­dern bie­tet eine Ver­bin­dung zwi­schen Dies­seits und Jen­seits. Die­se Vor­stel­lung einer Ver­bin­dung zwi­schen Dies­seits und Jen­seits ist eigent­lich in allen Reli­gio­nen irgend­wie vor­han­den, aber oft­mals zwar in popu­lä­ren Über­lie­fe­run­gen ver­brei­tet, aber von Sei­ten der jewei­li­gen Amts­theo­lo­gie als Aber­glau­be ver­pönt. Nun bie­tet der Arme-See­len-Glau­be dem mit­tel­al­ter­li­chen Chris­ten ein anschau­li­ches und attrak­ti­ves Denk- und Ver­hal­tens­mus­ter: Mein Han­deln im Hier und Jetzt hat Aus­wir­kun­gen auf die Ver­stor­be­nen – auf mei­ne Ver­stor­be­nen. Mit Gebet, Rosen­kranz, Almo­sen und sons­ti­gen guten Wer­ken kann ich kon­kret das Leid der Armen See­len lin­dern. Wenn wir die Soli­dar­ge­mein­schaft der Vor­mo­der­ne dazu den­ken ist damit direkt die Sicher­heit ver­bun­den: Wenn ich tot bin und mei­ne See­le im Fege­feu­er schmort, wird auch jemand für mich ent­spre­chend sor­gen: Fami­lie, Nach­barn, Mit­glie­der mei­ner Bru­der­schaft, mei­ner Zunft, oder auch ein­fach jeder Frem­de, der an einem Weg­kreuz vor­bei­kommt und sich bekreu­zigt oder ein Gebet spricht. Die­ser Gedan­ke fin­det sich heu­te noch oft in Inschrif­ten auf alten Wege­kreu­zen oder Bild­stö­cken formuliert.

Ins­ge­samt ist das Kon­zept des Fege­feu­ers und der Armen See­len natür­lich auch kirch­li­cher­seits attrak­tiv, denn es lässt sich für die reli­giö­se Didak­tik ein­set­zen. Der nächs­te Schritt ist auch irgend­wie fol­ge­rich­tig und ganz prag­ma­tisch: viel­leicht geht ja neben oder zusätz­lich zu einer christ­li­chen Lebens­füh­rung auch eine Spen­de für die Armen See­len. Kann man viel­leicht auch Vor­sor­ge betrei­ben? Im Tes­ta­ment ver­fü­gen, dass ein Teil des Erbes zur Finan­zie­rung von Mes­sen aus­ge­ge­ben wird, bei denen für mei­ne See­le im Fege­feu­er gebe­tet wird. Es ist nach­voll­zieh­bar, dass die­se Idee eben­falls sehr popu­lär wur­de. Das Ablass­we­sen ent­wi­ckel­te sich aus die­sem Gedan­ken, sicher ist der Spruch bekannt: „Der Taler in dem Kas­ten klingt, die See­le in den Him­mel springt“. Die­ser im Spät­mit­tel­al­ter dann mas­si­ve Ablass­han­del war einer der wich­tigs­ten Kri­tik­punk­te Mar­tin Luthers an der katho­li­schen Kir­che. Und ich glau­be auch, es ist kein Zufall, dass Mar­tin Luther sei­ne The­sen am Tag vor Aller­hei­li­gen an die Kir­chen­tür zu Wit­ten­berg gena­gelt hat. Luther pre­dig­te am 2. Novem­ber 1522 über die Fei­er­ta­ge Aller­hei­li­gen und Aller­see­len: „Ich wolt dass sie in allen lan­den wern auf­f­ge­ha­ben, alleyn umb des mis­brauchs wil­len, der doryn geschicht.“

Bräuche

Theo­lo­gi­sche Dis­kur­se und reli­giö­se Regeln sind das eine, ihre Umset­zung und Reprä­sen­ta­ti­on in Brauch und All­tag eine ande­re. Und im Dop­pel­fei­er­tag Allerheiligen/Allerseelen, der in der Brauch­pra­xis eben schon am Vor­abend begann, ver­bin­den sich ganz unter­schied­li­che sym­bo­li­sche Praxen.

Zum einen geht es um das Erin­nern an die Toten: Toten­ge­den­ken ist immer auch ein memen­to mori, also eine Erin­ne­rung an die eige­ne Sterb­lich­keit. Das hat stets etwas Ambi­va­len­tes, chan­gie­rend zwi­schen Glau­ben und Angst. Zum ande­ren war der Dop­pel­fei­er­tag ein Fest, also Grund zu fei­ern, zur Aus­ge­las­sen­heit. An dem Fest soll­ten alle teil­ha­ben kön­ne, auch die wirt­scchaft­lich schlecht gestell­ten. Denn Arme See­len, das sind ja nicht nur die Toten im Fege­feu­er, son­dern das sind viel­leicht auch die Armen im eige­nen Lebens­um­feld. Und von denen gab es vie­le in der Vor­mo­der­ne: Tage­löh­ner, Heu­er­leu­te, Kran­ke, Ver­sehr­te, Hei­mat­lo­se – im Som­mer und Herbst konn­ten vie­le des „vor­mo­der­nen Pre­ka­ri­ats“ als Tage­löh­ner in der Land­wirt­schaft arbei­te­ten, gera­de zur Ern­te­zeit wur­den immer Arbeits­kräf­te gebraucht. Im Win­ter­halb­jahr sah es schlecht aus mit sol­chen Zuver­dienst­mög­lich­kei­ten. Und in Zei­ten vor jeg­li­cher staat­li­chen Absi­che­rung, waren die­se Men­schen auf sich allein gestellt, bzw. auf die Soli­da­ri­tät der ande­ren ange­wie­sen. Hier liegt die all­tags­prak­ti­sche Bedeu­tung der zahl­rei­chen Win­ter­bräu­che, die alle auf das christ­li­che Gebot der Nächs­ten­lie­be ver­wei­sen: Von Aller­hei­li­gen bis Kar­ne­val ent­hiel­ten fast alle wich­ti­gen Fest­ter­mi­ne so genann­te Hei­sche­bräu­che. Hei­schen ist das erbit­ten von Gaben. Es ist kein Bet­teln, son­dern eine durch den Brauch erlaub­te Hand­lung. Es gibt vom Hei­schen­den stets eine Gegen­ga­be, das ist der Segen oder das Gebet. Und hier schließt sich der Kreis zum Arme-Seelen-Glauben.

Hei­sche­bräu­che waren für die Armen ein wich­ti­ges Ver­sor­gungs­ele­ment. Erheischt wur­den Lebens­mit­tel, beson­ders halt­ba­re wie Eier, Hül­sen­früch­te, Kar­tof­feln und Speck. Auch Brot und Back­werk gehör­ten dazu, in vie­len Gegen­den wur­de spe­zi­el­les Aller­hei­li­gen­brot geba­cken, die schwä­bi­sche „See­le“ und der eng­li­sche „Soul­ca­ke“ haben ihren Ursprung in die­sem Brauch. Alko­hol war eben­falls gern genom­me­ne Gabe, denn das Hei­schen dien­te auch der Ver­kös­ti­gung beim gemein­sa­men Fei­ern: Ein Teil der geheisch­ten Nah­rungs­mit­tel wur­de gemein­sam ver­zehrt, es wur­de gesun­gen, getanzt, gespielt, oft­mals mit kar­ne­val­esken Ele­men­ten und in der Umset­zung durch­aus auch derb.

Der Abend vor Aller­hei­li­gen wur­de im gan­zen christ­li­chen Euro­pa so oder ähn­lich gefei­ert. Erst die kirch­li­che Auf­klä­rung im 18. Jahr­hun­dert führ­te zu einem deut­li­chen Rück­gang der vie­len sin­nen­fro­hen und eben auch der­ben Fest­bräu­che. Sie wur­den teil­wei­se ver­bo­ten, teil­wei­se durch Rege­lun­gen und Auf­sicht ein­ge­dämmt, vie­ler­orts gin­gen sie ver­lo­ren – nicht nur, weil die auf­ge­klär­te Kir­che sie nicht mehr dul­den woll­te, son­dern vor allem, weil durch ver­mehr­te staat­li­che Sozi­al­für­sor­ge (und ‑dis­zi­pli­nie­rung) ihre all­tags­prak­ti­sche Funk­ti­on als Soli­dar­brauch entfiel.

Die Iren

In die­se all­ge­mein euro­päi­sche Situa­ti­on fiel die Mas­sen­aus­wan­de­rung von Iren in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka. Irland erleb­te zwi­schen 1845 und 1852 eine kata­stro­pha­le Hun­gers­not. Meh­re­re Jah­re hin­ter­ein­an­der wur­de die Kar­tof­fel­ern­te durch die Kar­tof­fel­fäu­le zer­stört, Kar­tof­feln waren das Haupt­nah­rungs­mit­tel der Bevöl­ke­rung. Hin­zu kamen poli­ti­sche und reli­giö­se Repres­sio­nen durch die bri­ti­sche Besat­zungs­macht, Fol­ge war eine Mas­sen­mi­gra­ti­on in die USA.

Und wie das mit Migran­ten so ist – auch die Iren, die in gro­ßen Grup­pen kamen, wur­den aus­ge­grenzt, leb­ten ghet­toi­siert, wirt­schaft­lich am Exis­tenz­mi­ni­mum. Als Kon­se­quenz schlos­sen sie sich beson­ders eng zusam­men und tra­dier­ten ihre eige­ne Kul­tur: katho­lisch, kon­ser­va­tiv – mit­samt der dazu­ge­hö­ri­gen Fes­te, die in der Situa­ti­on der Dia­spo­ra natür­lich beson­ders bedeut­sam wer­den. Die Iren brin­gen also ihr katho­li­sches Aller­hei­li­gen mit­samt dem aus­ge­las­se­nen Fei­ern am Vor­abend in die USA. Hier ent­wi­ckelt sich der Brauch wei­ter. Vor allem im Zuge des natio­na­len Zusam­men­wach­sens der Ein­wan­de­rungs­ge­sell­schaft USA mit Wirt­schafts­auf­schwung und zuneh­men­dem Wohl­stand ab Ende des 19. Jahr­hun­derts wird der typi­sche Hei­sche­gang immer mehr zu einem Kin­der­spaß. Eine ganz ähn­li­che Ent­wick­lung fin­det im Rhein­land übri­gens am St. Mar­tins­brauch statt.

Damit aber das katho­li­sche Aller­hei­li­gen zu einem zen­tra­len Fest einer mul­ti­re­li­giö­sen und mul­ti­kul­tu­rel­len Gesell­schaft wie der USA wer­den konn­te muss es trans­for­miert wer­den. Das katho­li­sche Gerüst, vor allem der Enge Bezug zu Aller­hei­li­gen, wird abge­legt, das mas­sen­kom­pa­ti­ble Spaß­ri­tu­al des Ver­klei­dens, des Trick or tre­at und die leich­te Gru­sel­at­mo­sphä­re durch Bezug auf das Toten­ge­den­ken blei­ben erhalten.

Amerika und der Re-Import nach Europa

Im Ver­lauf des frü­hen 20. Jahr­hun­derts wird Hal­lo­ween neben Thanks­gi­ving zum zwei­ten wich­ti­gen Fami­li­en- und Kin­der­fest in den USA. Es ist ein in ers­ter Linie säku­la­res Fest, was von der gemischt­re­li­giö­sen Bevöl­ke­rung pro­blem­los gemein­sam gefei­ert wer­den kann. Und hier hat sich dann auch das Fest zu einem ech­ten Brauch entwickelt.

In den 1980er und 1990er Jah­ren wird Hal­lo­ween dann medi­al in beson­de­rer Wei­se auf­be­rei­tet: 1978 erscheint der Film Hal­lo­ween von John Car­pen­der, ein Kas­sen­schla­ger. Es gibt diver­se Nach­fol­ger und Remakes und über die­se media­le Erzäh­lung wird der Aspekt des Gru­sels, des Unheim­li­chen ver­stärkt. Die­se Auf­la­dung des Fes­tes wird wie­der­um gera­de von Jugend­li­chen und jun­gen Erwach­se­nen beson­ders auf­ge­nom­men, gru­se­li­ge Kos­tü­me, Par­tie­zu­be­hör – alles spielt auf Zom­bies, Vam­pi­re und Hor­ror an. Viel­leicht Eine Art spie­le­ri­scher, iro­ni­scher Umgang mit dem The­ma Tod und Sterben.

img_0981Die Medi­en sind einer der Kanä­le, über den das nun trans­for­mier­te ehe­ma­li­ge Aller­hei­li­gen­fest zurück nach Euro­pa trans­por­tiert wird. Fil­me, Fern­seh­se­ri­en, Bericht­erstat­tung – über die Fern­seh­mo­ni­to­re kommt die All­tags­kul­tur der USA in unse­re Wohn­zim­mer. Aber auch der zuneh­men­de inter­na­tio­na­le Aus­tausch trägt bei: Schü­ler­aus­tausch bei­spiels­wei­se und der Aus­tausch mit den in Deutsch­land sta­tio­nier­ten ame­ri­ka­ni­schen Sol­da­ten und ihren Fami­li­en. Die­se Bezie­hung lässt sich ziem­lich deut­lich nach­wei­sen: Die ers­te Hal­lo­ween­par­ty in Deutschlang fin­det 1975 auf der Burg Fran­ken­stein in Süd­hes­sen statt, initi­iert von dem ame­ri­ka­ni­schen Offi­zier Bri­an Hill. Heu­te ist die Par­ty ein auf vier Wochen­en­den aus­ge­dehn­ter Event, das ulti­ma­ti­ve must-have der Hal­lo­ween­fans. Das Fest brei­tet sich in Deutsch­land seit Ende der 1980er Jah­re vor allem im Rhein-Main-Gebiert und dem Rhein­land aus, zum einen Gebie­te, in denen ame­ri­ka­ni­sche Sol­da­ten sta­tio­niert waren und zum ande­ren Regio­nen, in den der Kar­ne­val in unter­schied­li­chen Facet­ten als zen­tra­les Kul­tur­ele­ment tra­diert ist. Hal­lo­ween stößt hier auf eine Kul­tur, der zen­tra­le Ele­men­te die­ses Brauchs bereits ver­traut sind: das Ver­klei­den, das Hei­schen, das aus­ge­las­se­ne Fei­ern mit eska­pis­ti­schen Tendenzen.

Halloween in Deutschland

Natür­lich wur­de die­ses neue Fest in Deutsch­land auch öko­no­misch als inter­es­sant betrach­tet. Die belieb­ten und weit ver­brei­te­ten „Irish Pubs“ nut­zen schon in den 1980er Jah­ren den Wer­be­ef­fekt von Hal­lo­ween: Hier lie­ße sich typisch irisch (also ganz „ursprüng­lich“) Hal­lo­ween fei­ern. Schnell bie­ten auch die Kar­ne­vals­aus­stat­ter zu Hal­lo­ween ein ent­spre­chen­des Sor­ti­ment an, eben­so Super‑, Bau- und Bas­tel­märk­te. Bäcke­rei­en bie­ten „Hal­low-Amis“ oder Geis­ter-Quark­teil­chen, dazu Kür­bis­brot. Der Kür­bis sowie­so – war die­ser nach sei­ner Ein­füh­rung im 16. Jahr­hun­dert lan­ge erst­mal als Vieh­fut­ter in Gebrauch, dann als Arme-Leu­te-Essen ver­pönt, ist er heu­te ein abso­lu­tes In-Gemü­se: Kür­bis­sup­pen, Kür­bis-Gnoc­chi, Kür­bis­auf­lauf, Kür­bis­ge­mü­se medi­ter­ran oder süß-sau­er ein­ge­legt – gera­de heu­te Abend haben hei­schen­de Hal­lo­ween­kin­der mei­ne Kür­bis­piz­za pro­bie­ren wol­len – übri­gens auch die beglei­ten­de Mutter.

Die heu­ti­gen Hal­lo­we­en­ten­den­zen, die übri­gens gar nicht so weit ver­brei­tet prak­ti­ziert wer­den, wie in den Medi­en oft dar­ge­stellt, sind unse­rer eige­nen kul­tu­rel­len Tra­di­ti­on also eigent­lich gar nicht so fremd. Hal­lo­ween zeigt sehr schön, dass Bräu­che sich stets ver­än­dern; sie wer­den immer wie­der trans­for­miert, neu sym­bo­lisch auf­ge­la­den und an aktu­el­le Kon­tex­te ange­passt. Das macht sie leben­dig und lebens­fä­hig – wenn die­se Aktua­li­sie­run­gen nicht mehr voll­zo­gen wer­den, stirbt der leben­di­ge Brauch. Bräu­che sind aber auch immer ein Spie­gel der Gesell­schaft und ihrer Wer­te. Die Ent­wick­lung von Hal­lo­ween in den USA, vom katho­li­schen Brauch zum säku­la­ren Kin­der­spaß zeigt das anschau­lich. Aber auch die oft kri­ti­sier­te Kom­mer­zia­li­sie­rung ist Ele­ment unse­rer Wohl­stands- und Kon­sum­ge­sell­schaft. Die trans­kon­ti­nen­ta­le Rei­se von Euro­pa in die USA und zurück zeigt die inte­gra­ti­ve Kraft von Bräu­chen, die als eine sym­bo­li­sche Spra­che über kul­tu­rel­le und natio­na­le Gren­zen hin­weg ver­stan­den wer­den kön­nen. img_0978Ob Hal­lo­ween tat­säch­lich in Deutsch­land als Brauch Fuß fasst und wie er dann hier gelebt wird, ist noch offen. Wich­tig erscheint mir aber, dass über die tat­säch­li­che Geschich­te die­ses Brauchs ein Bewusst­sein für sei­ne Bedeu­tung geschaf­fen und trans­por­tiert wer­den kann. Die­se Bedeu­tung als Soli­dar­brauch, Erin­ne­rungs­ri­tu­al an das Jen­seits (und die eige­ne Sterb­lich­keit) und als kar­ne­val­esker Bruch des All­tags kann auf jeden Fall als sinn­haft erlebt wer­den – im Gegen­satz zu mythisch ver­klär­tem und ideo­lo­gi­schen Blödsinn.

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