Elsass — am Tag der Deutschen Einheit.

Am Sams­tag, den 1. Okto­ber 2016 haben wir die Hoch­zeit einer Cou­si­ne in Wald­kirch in der Nähe von Frei­burg im Breis­gau gefei­ert. Was lag da näher, als den Fei­er­tag am Mon­tag, den 3. Okto­ber noch “mit­zu­neh­men”, einen Kurz­ur­laub zu machen. Und wenn wir schon in der Gegend sind: Col­mar stand seit eini­ger Zeit ganz oben auf der Lis­te der wich­ti­gen Zie­le. Aber Moment, wel­cher Fei­er­tag ist das doch gleich? Der Tag der Deut­schen Ein­heit.1 Dar­über, dass die­ser Fei­er­tag wohl der ist, der am wenigs­ten in der Bevöl­ke­rung ange­kom­men ist, könn­te ich einen eige­nen Text schrei­ben. Gera­de in den letz­ten Wochen und Mona­ten sind ja die Aus­wir­kun­gen davon deut­lich zu spü­ren, dass es nicht gelun­gen ist, die Errun­gen­schaf­ten der Euro­päi­schen Eini­gung und der Deut­schen Wie­der­ver­ei­ni­gung in den Her­zen und See­len der Men­schen posi­tiv zu ver­an­kern. Und wenn es kei­ne Errun­gen­schaft ist, am deut­schen Natio­nal­fei­er­tag ohne Grenz­kon­trol­len oder Auf­se­hen oder auch nur komi­schen Bemer­kun­gen im Elsass, also beim “Erb­feind“2 durch die Stadt zu spa­zie­ren, dabei offen deutsch zu spre­chen, dann weiß ich es auch nicht. Damit soll es aber genug sein mit die­sem “Alles ist poli­tisch”. Es folgt ein klei­ner Rei­se­be­richt mit eini­gen Pho­tos.3

Unser ers­tes Ziel führ­te uns zunächst etwas aus dem Elsass in die Fran­che-Com­té: Die Kapel­le Not­re Dame du Haut bei Ron­champ von Le Cor­bu­si­er.4 Die­se klei­ne Kir­che, von dem Agnos­ti­ker Le Cor­bu­si­er 1955 gebaut, hat eine ganz beson­de­re Aus­strah­lung. Die Asym­me­trien im Bau­kör­per, die star­ken Far­be der vie­len, klei­nen Fens­ter, die geschwun­ge­nen Kur­ven ver­brei­ten ein ange­neh­me Ruhe. Sie laden ein zum Ver­wei­len, zum Ent­de­cken. Wirk­lich eine Meisterleistung!

Dag­mar: Wenn wir schon kul­tur­wis­sen­schaft­lich klugschei*en wol­len, dann muss genau hier ein klei­ner Exkurs zu Het­e­ro­to­pien ste­hen: die ande­ren Orte, Räu­me, die aus der All­tags­er­fah­rung her­aus­fal­len und eben die ganz ande­ren Erfah­run­gen mög­lich machen. Erfah­rung von Ruhe, Wei­te, Stil­le und tat­säch­lich so etwas wie Tran­szen­denz. Die­ser Kir­chen­bau ist so ein Het­e­ro­top. Wer also immer schon mal wis­sen woll­te, was Michel Fou­cault mit die­ser Theo­rie gemeint hat, soll­te mal nach Ron­champ fahren.

Nach einer Kaf­fee­pau­se und der Besich­ti­gung der Zita­del­le in Bel­fort sind wir dann nach Tur­ck­heim unweit von Col­mar gefah­ren, wo wir nichts ahnend im Hôtel Des Deux Clefs ein­quar­tiert hat­ten. Erst nach­dem wir gebucht hat­ten, lasen wir in Rei­se­füh­rern, dass es sich hier um eines der schöns­ten Fach­werk­häu­ser im Ort han­delt und hier schon “Goe­thes Lili, ver­hei­ra­te­te von Tur­ck­heim, Albert Schwei­zer, Charles de Gaul­le und James Ste­wart“5 logiert haben. Und in der Tat: ein emp­feh­lens­wer­tes Hotel! Allei­ne das wun­der­ba­re Früh­stück mit unglaub­li­chen Crois­sants, Tar­tes und Gugel­hupf. Über­haupt: Die­ses pit­to­res­ke Win­zer­städt­chen hat eine Men­ge zu bie­ten: schö­ne Fach­werk­häu­ser mit guten Wein­lo­ka­len, in denen gran­dio­ser Wein aus­ge­schenkt wird. Man muss sich nur dar­über im Kla­ren sein, dass man in einer guten hal­ben Stun­de ein­mal um die (Alt-)Stadt her­um lau­fen kann…

In Col­mar haben wir zunächst die ehe­ma­li­ge Domi­ni­ka­ner­kir­che auf­ge­sucht, um die Madon­na im Rosen­hag von Mar­tin Schon­gau­er zu sehen. Das Musée Unter­lin­den6 hat zum Glück auch Mon­tags geöff­net. Es bie­tet in einer inter­es­san­ten Archi­tek­tur einen Par­force­ritt von der Kunst der Mero­win­ger bis zur zeit­ge­nös­si­schen Kunst. Dabei gibt es sowohl hoch­kul­tu­rel­les als auch volks­kund- sowie ‑tüm­li­ches.7 Und vor allem: der Isen­hei­mer Altar von Mat­thi­as Grü­ne­wald. Kurio­si­tät am Ran­de: Beim Betre­ten des Muse­ums tref­fen wir Freun­de aus Bonn. Anschlie­ßend ist noch etwas Sight­see­ing in Col­mar inkl. “Litt­le Venice” angesagt.

Von gut 200m ü.N.N. ging es am Tag der Heim­rei­se zunächst in den Wall­fahrts- und Luft­kur­ort Trois Epis auf 670m. Die neue Wall­fahrts­kir­che von 1968 hat nichts, aber wirk­lich gar nichts von er Ästhe­tik der Kir­che von Le Cobusi­er (s.o.). Ein Zweck­bau zur… ja, wozu eigentlich?

Dag­mar: Naja, das kann man auch anders sehen: Archi­tek­tur für gro­ße Wall­fahrts­grup­pen, die Sym­bo­lik der Archi­tek­tur hat etwas kör­per­li­ches, hat mich in Tei­len an Lour­des erin­nert, und die far­bi­gen Fens­ter, die von außen gar nicht wahr­nehm­bar sind, haben schon eine Wirkung…

So hat­ten wir auf dem Heim­weg noch inter­es­san­ten Dis­kus­si­ons­stoff — nach einem schö­nen ver­län­ger­ten Wochenende.

  1. Wiki­pe­dia: https://de.wikipedia.org/wiki/Tag_der_Deutschen_Einheit
  2. Wiki­pe­dia: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-französische_Erbfeindschaft
  3. Ich könn­te natür­lich den gan­zen Text weg­las­sen und nur die Pho­tos pos­ten. Denn eigent­lich mache ich das hier nur, um mei­ne Pho­tos nicht Face­book zu über­ant­wor­ten. Aber jedes Mal den­ke ich, dass so ein biss­chen Erklä­rung und Kultur-/Politik-/Geophysik-/…-Klugschei*erei ist doch auch ganz nett ist, oder?
  4. Home­page: http://www.collinenotredameduhaut.com
    Wiki­pe­dia: https://de.wikipedia.org/wiki/Notre-Dame-du-Haut_(Ronchamp)
  5. Quel­le: Susan­ne Tschirner: Elsass. DuMont Kunst­rei­se­füh­rer. 5. aktua­li­sier­te Auf­la­ge. Ost­fil­dern 2011, S. 253.
  6. Home­page: http://www.musee-unterlinden.com/de/
  7. Der Ver­an­stal­tungs­saal des Muse­ums ist in einem ehe­ma­li­gen Schwimm­bad untergebracht…

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