Gestern auf dem Weg von Köln nach Bonn, Mittelrheinbahn, kurz nach 12 Uhr. Es ist überschaubar gefüllt, eigene Bankreihe für mich alleine, beobachtungstechnisch günstig im hinteren Teil des Wagons. Denn ich habe die Zeitung zuhause vergessen, kein Buch dabei — was also tun auf der gut 30miniütigen Zugfahrt. Mitreisende beobachten. Leute unterschiedlichen Alters hantieren mit ihren Handys, ein junger Mann liest auf so einem Dings-Lesegerät, eine Frau hat tatsächlich ein echtes Buch, zwei junge Männer unterhalten sich über ihre Vorlesung. Eine junge Frau brütet über handschriftlichen Notizen, blonder Zopf, Trekkingjacke. Nachdem sie ihre Notizen in mädchenhafter, leicht nach links gekippter Schrift einmal durch hat, greift sie in ihre große weiße Tasche und zieht einen Schädel heraus. Sie hält den grinsenden Totenkopf mit der linken Hand, schaut ihn an und fährt sorgfältig und langsam mit den Fingern an den Kanten von Jochbein und Oberkiefer entlang, blickt dabei immer wieder in ihre Unterlagen. Sie fühlt mit den Fingerspitzen über das Schädeldach, tastet die Ränder der einzelnen Platten, erst von außen, dann öffnet sie den Schädel von oben und fühlt wiederum innen an den Rändern entlang. Vermutlich ist sie eine Medizinstudentin, die gerade den Schädelkurs macht. Aber ihr beim Erkennen der Schädelknochen zuzuschauen, hat etwas faszinierendes, ist es doch eine Art Umkehrung eines klassischen Bildes: Der Tod und das Mädchen.
Zum Philosophieren blieb keine Zeit: “In wenigen Minuten erreichen wir Bonn Hauptbahnhof, sie haben Anschluss an den ICE 1207 nach Berlin und die Regionalbahn nach Euskirchen.” Ab mit dem Schädel in die Tasche, die Mappe mit den Notizen hinterher und zur Tür. Sieht ganz harmlos aus, die junge Frau mit blondem Zopf und großer weißer Tasche.